Die Stadt Galerie Brixen nimmt in ihrem Ausstellungsprogramm auf das territoriale Umfeld und aktuelle gesellschaftsrelevante Themen Bezug.
Das Water Light Festival ist zu einem festen Bestandteil des Brixner Veranstaltungszyklus herangewachsen, sodass jährlich in einer Ausstellung Künstler*innen die Themen Wasser und Licht zur Grundlage ihrer Recherche machen und in raumgreifenden partizipativen Installationen zum Ausdruck bringen. Vizebürgermeister Ferdinando Stablum und Kulturstadträtin Monika Leitner eröffnen zusammen mit Lisa Trockner vom Südtiroler Künstlerbund und Kuratorin Elisa Barison die Ausstellung Horizon Deep.
Horizon Deep
26.4.22 – 22.5.22
Silvia Hell & Nicola Ratti
Kuratiert von Elisa Barison, für den Südtiroler Künstlerbund
Alles beginnt mit der Frage nach den Orten, wo kein Licht vorhanden ist – lì dove la luce non arriva. Silvia Hell beschäftigt sich seit geraumer Zeit mit dem Phänomen des Lichts und hat bereits im Dezember 2020 in der Via Illuminativa in Stufels die Arbeit Lightsourcing gezeigt. Nun kehrt sie nach Brixen zurück und taucht noch tiefer in das besagte Phänomen ein. Um genau zu sein, so tief, dass es sich nicht mehr durch das bloße menschliche Auge erfassen lässt: wir befinden uns in den Tiefen des Meeres.
Das Sonnenlicht erreicht diesen Teil der Erde nur teilweise und die Tiefsee hält unendliche Weiten bereit, die durch die komplette Abwesenheit von Licht gekennzeichnet sind. Um diese dunklen und unbekannten Orte erforschen und vermessen zu können bedienen sich Wissenschaftler*innen sogenannter Sonar-Messtechniken. Ein Sonar (vom englischen Akronym „sound navigation and ranging“) ist ein Verfahren zur Ortung von Gegenständen im Raum und unter Wasser, welches mittels ausgesandter Schallimpulse Objekte lokalisieren und Entfernungen bestimmen lässt. Hier kommt der Musiker und Sound-Artist Nicola Ratti ins Spiel. Gemeinsam mit Silvia Hell, geht er auf eine Entdeckungsreise in die tiefsten und dunkelsten Orte des Meeres. Anhand von Klängen und deren Echo wollen die beiden sich im Dunkeln zurechtfinden.
Horizon Deep ist eine ortsspezifische Video – und Soundinstallation, die für die Räume der Stadt Galerie Brixen im Rahmen des Water Light Festival © entstanden ist. Die Galerie und ihr Standort, der Brixner Domplatz, sind dabei Ausgangspunkt und Endziel der Recherchen und der Arbeit der Künstler*innen.
Es heißt, dass auf dieser Welt kein Leben ohne Sonnenlicht möglich sei, weshalb das bunte Treiben am Meeresboden für uns Menschen besonders schwer vorzustellen ist. Wir wollen daher dem Gedankenexperiment von Hell und Ratti folgen und uns den Domplatz als Tiefseegraben und die Galerie als Pforte dorthin und als Vergrößerungsglas darauf vorstellen.
Um uns einen Einblick in diese Orte und seine Wunder zu schenken, verbringt Silvia Hell zunächst unzählige Stunden damit sich dokumentarisches Videomaterial der Meeresböden anzuschauen. Ein Auswahlkriterium dabei ist, dass die Quellen ihrer Recherche auf Open Source Plattformen verfügbar sind und somit auch von allen Besucher*innen bequem von zu Hause aus abrufbar wären. Relativ schnell kristallisiert sich für die Künstlerin der Fokus ihrer Arbeit heraus: am Meeresboden lebt ein Ökosystem von absoluter Artenvielfalt und eine ganze Palette kurioser Wesen, welche sich an die harten Bedingungen der Tiefe angepasst haben. Einige Tiere haben sogar gelernt selbst das Licht in der Dunkelheit zu sein und überraschen durch das Phänomen der Biolumineszenz. Diese will Hell durch ihre Arbeit in die Galerie bringen. Dafür bedient sie sich jenes Geräts, das zum steten Begleiter des modernen Menschen geworden ist: ihrem Telefon.
Dieses hält sie mit offener Kamera im Videoaufnahmemodus direkt auf den Bildschirm, auf dem der Film läuft, in dem die bunten Wesen am Meeresboden in unregelmäßigen Abständen auftauchen und durch ihre Biolumineszenz überraschen. Durch die unmittelbare Nähe der Handykamera am Bildschirm gelingt es Hell damit das von den Tieren produzierte Licht und seine verschiedenartige Reflexion und Absorption, also die Farbtöne, in den Mittelpunkt ihrer Videos zu rücken. Sie hat dabei weder Farben noch Bewegungen der Lebewesen der Dokumentarfilme verfälscht oder beeinflusst. Die Sicht in den Videos der Galerie ist lediglich ein Super-Zoom auf die Biolumineszenz der Meerestiefen.
Untermalen wird dieses fröhliche und abwechslungsreiche Farbenspiel von der Musik Nicola Rattis, welche zwei der drei gezeigten Videos in der Galerie begleitet. Die archaischen und wiederhallenden Klänge, die aus den Lautsprechern ertönen, sind nach einem Besuch der beiden Künstler*innen im Februar in Brixen entstanden. Um den Domplatz auszuloten und sich zurechtzufinden haben Hell und Ratti nicht einfach ein Meterband und eine Stadtkarte benutzt, sondern haben den Standort in Tiefsee-Manier untersucht: mit Klängen und Schallimpulsen, wie das Sonar-Verfahren unter Wasser. Gemixt und geschnitten begleiten diese Aufnahmen nun die Videos von Silvia Hell und sind eine einzigartige und ungewöhnliche Vermessung des zentralen Platzes der Stadt.
Zusätzlich tauchen in den Videos immer wieder auch Aufnahmen auf, die Hell im inneren der Galerie selbst gemacht hat. Sie filmte dafür die von der Decke hängende Struktur, die beim Umbau des Raums vorgesehen wurde, um durch Neonröhren und Spots die Bögen und Wände und somit die gezeigten Kunstwerke bestmöglich ausleuchten zu können. Während die kuriosen Lebewesen am Meeresboden selbst ihr Licht produzieren können, bedienen wir uns künstlicher Lichtquellen um unseren Blick und Fokus auf etwas Bestimmtes richten zu können.
Wir sollten nicht vergessen, dass auch Licht nur im Zusammenspiel mit Dunkelheit entstehen kann und vice versa.
Horizon Deep thematisiert jene Orte auf der Erde, die seit Gezeiten existieren und doch so ungreifbar für uns Menschen scheinen, dass wir teilweise das Weltall und seine Planeten besser erforscht haben und kennen. Das Projekt soll deshalb mehr Sensibilität für die Ozeane schaffen. Sie sind wesentlich für das Gleichgewicht unseres Planeten.
Silvia Hell, geboren 1983 in Bozen, lebt und arbeitet in Mailand. Studiert hat sie Malerei an der Accademia di Belle Arti di Brera, Mailand. Silvia Hell beschäftigt sich mit Skulptur, Fotografie, ortsspezifischen Installationen und raumbezogenen Arbeiten. Ihre Arbeit orientiert sich an Handlungen und Denkweisen, die Formen der Spannung innerhalb der Methode, zwischen der konventionellen Objektivität der Referenz und den originellen Modellen von Darstellung und Formalisierung des Realen erzeugen. Ihr Interesse gilt der Analyse und Verarbeitung von Informationen und öffentlichen Daten aus verschiedenen Bereichen. Seit 2011 ist sie bei Cose Cosmiche aktiv: einem interdisziplinären Projekt, bei dem Künstler*innen, Wissenschaftler*innen und Forscher*innen eingeladen sind, ihre neuesten Forschungen zu präsentieren.
Nicola Ratti, geboren 1978 in Mailand. Musiker und Sounddesigner, seit Jahren im experimentellen Bereich tätig. Er ist live in Europa, Nordamerika, Russland und Japan aufgetreten und seine Alben wurden von verschiedenen wichtigen Etiketten veröffentlicht. Seit Mai 2015 ist er einer der Gründer und Kuratoren von Standards, einer Galerie für experimentelle Klangforschung in Mailand, 2016 gründete er Frequente, eine Kunstorganisation mit Sitz in Mailand, die sich der Klangkunst und experimentellen Performances widmet. Er ist Gründungsmitglied von NeitherSound, einer in Mailand ansässigen Firma, die sich mit Design und Klangproduktionen für Ausstellungen, darstellende Kunst und Filme beschäftigt.
Fotocredit: Leonhard Angerer